Fett. Wie wir alle wissen, gibt es gutes Fett und böses Fett. Aber es gibt auch das Adjektiv „fett“ – ein eigentliches unscheinbares Wort, das, sobald man es klein schreibt, zu einer Beleidigung und wahrlich psychischen Belastung ausarten kann. Ein Wort, das wohl niemand in Zusammenhang mit sich selbst hören möchte. Doch viele müssen es hören. Oft. Tausend Mal. Jahrelang. Vielleicht sogar täglich.
Auch ich zähle zu denen, die diese und anderweitige Beleidigungen jahrelang ertragen mussten. Und ich denke, dass auch viele andere sofort wissen, was ich meine.
Wenn man sich genauer darüber Gedanken macht, fragt man sich wahrscheinlich „was ist eigentlich „fett“?“ oder „Ab wann gilt man denn als vermeintlich „fette“ Person?“. Ist das rein objektiv oder klar erkennbar? Medizinisch gesehen ist es scheinbar recht einfach – da ist man das ab einem BMI über 30. Doch mal weg von der medizinischen Sicht. Persönlich habe ich mich nie mit diesem Wort in Verbindung gebracht, wenn dann waren es immer außenstehende (fremde) Menschen, die mir dieses Wort um die Ohren knallten. Warum dies aber so war, konnte ich damals nicht direkt nachvollziehen, ich versuchte so Momenten immer so wenig Beachtung wie möglich zu schenken. „Ja Mädel, wenn du es doch so oft zu hören bekommen hast, hast du dir da nicht irgendwie mal Gedanken gemacht?“ – magst du dich jetzt vielleicht fragen. Und ja, das habe ich in der Tat. Ich habe mich selbst zwar als übergewichtig gesehen, aber nie in dem Ausmaß, in dem es tatsächlich vorhanden war. Es ist verrückt und vielleicht auch gestört, aber ich glaube man täuscht sich selbst unbewusst – möglicherweise eine Art Schutzmechanismus, ich hab‘ keine Ahnung. Ich lebte also mein Leben, als „halt ein wenig übergewichtige“ Person, mit all den Einschränkungen und Problemen, die damit einhergingen.
Und ja, mein Leben damals als „fette“ Person – oder medizinisch so super als „adipositas per magna“-Betroffene formuliert – war schlimm. Ich möchte im Nachhinein nichts mehr beschönigen – das habe ich zu lange getan. Die körperlichen Probleme waren furchtbar. Das schlimmste waren wohl meine permanenten Rückenschmerzen, die mich derartig einschränkten, dass ich an manchen Tagen kaum laufen konnte.
Doch das ist das eine, die physischen Probleme. Viel schlimmer finde ich hingegen die psychischen. Stichwort Mobbing. Es beginnt mit zunächst unscheinbar Worten und steigert sich bis hin zu richtigen Beleidigungen, die dich verletzen. Und zwar richtig tief. Kinder können da richtig gemein sein und ein Leben als adipöser Teenager ist auch alles andere als angenehm. Denkt man an „fett“, so denkt man wohl automatisch an ungepflegte, schwitzende, stinkende Menschen, denen ihr Leben am Allerwertesten vorbeigeht und die sich nicht die Bohne für ihren Körper interessieren. Menschen, die Raubbau mit ihrem Körper betreiben und es, manchen Ansichten zu Folge, nicht mal verdient haben, zu leben. Und nein, niemand braucht das abstreiten, das wäre nur Schönrederei – ein Leben als „dicker“ oder gar „fetter“ Mensch ist schwierig, hart und an manchen Tagen nimmt es dir die Luft zum Atmen.
Fakt ist, du bist ein Mensch dritter Klasse.
Auch wenn das häufig beschönigt wird und es „ja gar nicht so ist“. Zu Spitzenzeiten war es mir nichtmal möglich, in der Öffentlichkeit in einen Burger zu beißen. Schließlich war ich ja fett und schließlich muss ich abnehmen – ein Burger steht mir demnach nicht zu. Die Blicke sprachen genau das.
Ebenso steht es dir nicht zu, Kleidung zu kaufen, die dir gefällt oder öffentliche Plätze zu besuchen, die Stühle sind ja sowieso nicht für dich ausgelegt. Eben alles, weil es dir nicht zusteht. Weil du fett bist, fertig. Bleib‘ am besten den ganzen Tag in der Bude hocken, damit ja niemand deinen Anblick ertragen muss.
In unserer Gesellschaft wirst du mittlerweile nur noch mit einer, der „Norm entsprechenden“ Figur akzeptiert – hast du die nicht, bist du direkt Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bzw. Randmitglied der Gruppe. Du entsprichst nicht dem Standard, du bist eklig – also sollst du demnach auch nicht ein „Teil“ von ihnen sein. Die Entwicklung unserer Gesellschaft spitzt sich immer weiter zu, alle sind auf dem Gesundheitstrip und die Fetten passen da nicht rein, weil die ziehen da ja nicht mit. Die hocken lieber zu Hause auf der Couch und hauen sich die Chips mit Cola rein. Als Nachspeise vielleicht noch ein Eis, oder zwei. Nur um eines der typischen Klischees mal genannt zu haben.
Es mag sein, dass manche Menschen o.g. Klischee wirklich vertreten. Aber dann ist das eher traurig und bemitleidenswert, als „amüsant“. Manchmal ist es tatsächlich so, dass du in einer Art Teufelskreis gefangen bist – zumindest ab einem gewissen Punkt, wenn du eben einfach keinen Ausweg mehr siehst. Dann ist das einzige, was dich noch glücklich macht das Essen. Wenn es die Gesellschaft schon nichtmehr tut, dann zumindest das gute, leckere Essen. Und ja, ich weiß wovon ich spreche. Essen befriedigt dich zunächst in der Tat, allerdings nur für ein paar Sekunden. Ein paar Sekunden, in denen du deinen Sorgen und Nöten entfliehen kannst und einfach nur genießen kannst. Kaum ist der Drops aber gelutscht, ist das „High Feeling“ weg und du bist wieder in der harten Realität angelangt. Demnach isst du wieder. Du isst wieder, um wieder kurzzeitig vergessen zu können. Und das kann eine widerliche Abwärtsspirale sein, aus der es nur schwierig zu entkommen ist.
In den Medien wird häufig von einem „Klick-Moment“ berichtet, also ein Moment, in dem du deine rosarote Brille absetzt und erkennst, dass du endlich was tun musst. Jetzt fragst du dich bestimmt, wann mein sagenumwobener „Klick-Moment“ kam. Wann der Momentan war, in dem ich beschlossen habe, dem Teufelskreis zu entfliehen. Ehrlich gesagt war es kein einziger „Klick-Moment“, wie es oft so schön beschrieben wird. Bei mir waren es vielmehr viele kleine, die mir irgendwann die Erkenntnis gaben, dass es so nicht weitergehen kann. Irgendwann waren die Probleme zu groß, um sie weiter verdrängen zu können.
Außenstehende meinen es häufig gut und kommen mit Ratschlägen wie „Ach komm, willst du nicht mal ein bisschen abnehmen?“ oder „Ich helf‘ dir, lass uns zusammen Sport machen“ oder der Klassiker „Iss doch einfach ein bisschen weniger und mach Sport“. Ja, pfff, wenn das so einfach wäre. Die haben ja alle leicht reden. Mit einem normalen „BMI“ würde ich auch so daherreden können. Die meisten Menschen heulen ja schon, wenn sie nach Weihnachten 5 Kilo wieder abspecken müssen. Aber dann einem hoch adipösem Menschen Tipps geben, grenzt für mich leider minimal an Hohn und kann ich demnach auch nicht ernst nehmen. Wenn man „gezwungen“ wird, so meine Erfahrung, hat man eh keinen Bock überhaupt erst anzufangen. Dann erst recht nicht.
Du musst es selber wollen, sonst wird das nichts.
Bei mir war es so, dass ich schon immer Gewichtsprobleme hatte, die vor allem bedingt durch meine angeborene Schilddrüsenunterfunktion waren. Mir ist es ganz wichtig, zu sagen, dass meine Eltern mich immer darin unterstützt haben, abzunehmen. Meine Mama hat mit mir sämtliche Ernährungskurse besucht und war immer dahinter, mein Gewicht zu senken. Das haben die beiden auch wirklich gut hinbekommen und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. So lange ich noch unter deren Kontrolle war, ging es mir auch gut und das Gewicht war in einem angemessenen Bereich. Dann kam aber das Teenager-Alter. Ihr kennt es sicher: man will sich nichts mehr sagen lassen (erst recht nicht von den Eltern), einem ist alles egal und man will sein „Ding“ machen. Definitiv eine schlechte Idee von mir. Denn ab da gerieten meine Gewichtsprobleme aus dem Ruder und vollkommen außer Kontrolle. Mein Gewicht stieg immer weiter an, was dazu führte, dass meine Medikamente irgendwann nicht mehr richtig eingestellt waren. Ich hätte deutlich mehr Schilddrüsenhormon benötigt – da mein Körper das aber nicht bekam, begünstigte das nur den weiteren „Aufwärtstrend“ meiner Gewichtskurve. Und das war mitunter das Bittere an der Sache. Vielleicht bist du ja gar kein Fresssack, der sich pausenlos Essen reinschaufelt. Vielleicht hast du auch einfach nur eine Krankheit oder schlimme Diagnose. Aber selbst wenn. Das interessiert sowieso keinen, weil fett ist fett. Ob nun krankheitsbedingt oder ernährungsbedingt. Die Leute sehen ja dein Äußeres, deine Silhouette – mehr braucht es nicht, um dich verurteilen zu können. Wobei ich natürlich nicht alle Menschen über einen Kamm scheren möchte, das wäre nicht fair.
Ich hatte zum Glück immer meine Familie und auch gute Freunde, die mir den Rücken stärkten.
Diesen Menschen bin ich unendlich dankbar – eben weil sie mich akzeptiert und geliebt haben, als viele andere es nicht taten.
Aber wieder zurück zu den so oft erwähnten „Klick-Momenten“. Bei mir war einer von Ihnen wohl folgender: Ein Tag im Sommer 2012. Es war Volksfest in der Stadt und wunderschönes Wetter. Am Abend ging ich dort mit ein paar Freundinnen hin und wir wollten unbedingt Achterbahn fahren. Und ja, die abgespeckte Version dieses Abends lautet: ich durfte nicht mitfahren, da sich der Bügel bei mir nicht schließen ließ. Ich konnte es ehrlichgesagt nicht so recht glauben, da ich ja schon übergewichtig war, aber nun doch auch nicht so sehr, dass ich zu dick für die Achterbahn bin. Nein, nein – das konnte nicht sein! Ich war empört über den Mann an der Achterbahn, überhaupt erst etwas derartiges zu behaupten. Von den Blicken der anderen Menschen ganz zu schweigen. Von bemitleidend bis verspottend war wohl alles dabei. Der Mann hatte natürlich auch sein Bestes gegeben, es mir so dezent wie möglich mitzuteilen. Oder auch nicht.
Da mir die Sache keine Ruhe ließ, wollte ich mich (fest entschlossen) am nächsten Tag mal wieder auf die Waage stellen. Auge in Auge mit meinem größten Feind. Doch so wie es auch manchmal im richtigen Leben ist, nämlich wenn Stille mehr sagt, als jedes gesprochene Wort, war es auch an diesem Morgen. Denn die Waage zeigte mir keine Zahl, nur drei ernüchternde Querstriche. Was in diesem Fall entweder darauf hindeutete, dass die Waage kaputt ist, oder dass mein Gewicht einfach über dem maximalen Höchstgewicht von 150 Kilo lag. Ersteres wäre mir definitiv lieber gewesen. Also bin ich los, mir eine neue Waage kaufen – maximale Belastung diesmal 200 Kilo. Allein der Kauf der Waage an der Kasse war Hölle für mich. Zuhause angekommen, stellte ich mich sofort drauf und ja, Schockmoment meines Lebens würde ich es mal bezeichnen. Drei knallharte Zahlen. 175. 175. 175. Einhundertfünfundsiebzig Kilo. Ach du meine F*****. Das konnte doch nicht ernsthaft richtig sein. Das war wohl der Moment, in dem ich mir nichts mehr schön geredet habe, keine Ausreden mehr gesucht habe, sondern einfach nur meine rosarote Brille abgesetzt habe. Das war wohl der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn eines wusste ich ab diesem Moment schlagartig :
Verdammt, Jessica. Du musst was tun – und zwar sofort!
In Was es bedeutet “fett” zu sein – Teil 2 lest ihr, wie ich erfahren habe, dass 175 Kilo gar nicht mein Top- Gewicht waren. Ich habe unendlich viele Diäten probiert, bis ich für mich den richtigen Weg gefunden habe. Damit habe ich nicht nur erfolgreich mein Gewicht reduziert, sondern schaffe es auch zu halten.
Ich schildere meine Meinung zum Thema “Welche Ernährung passt zu Dir?”.
Wow…ich finde mich in so vielen Punkten wieder.
Wahnsinn was die Gesellschaft und man selbst mit einem macht.